6. Februar 2001

TIBET INFORMATION NETWORK

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Tibetischer Bauer stirbt im Gefängnis

Ein etwa 30-jähriger tibetischer Bauer starb in der Provinz Sichuan im Gefängnis, in dem er wegen Teilnahme an Protestdemonstrationen gegen die Verhaftung eines angesehenen Buddhistischen Lehrers einsaß. Tsering Wangdrag, der von seiner Frau und zwei kleinen Kindern überlebt wird, starb im vergangenen August, während er ein Hafturteil von 3 Jahren und 8 Monaten verbüßte. Von TIN erhaltene Berichte zeigen, daß er mindestens einmal durch Hiebe auf Brust und Bauch bewußtlos geschlagen wurde, als er nach den Demonstrationen im Oktober 1999 in der Kreisstadt Kardze (chin. Ganzi) der gleichnamigen Tibetisch Autonomen Präfektur in der Präfektur Sichuan in Polizeigewahrsam genommen wurde. Er soll auch weiterhin mißhandelt worden sein, als er ins Gefängnis verlegt wurde, weshalb er nun bei sehr schwacher Gesundheit sein und Magenstörungen haben soll.

Tsering Wangdrag war einer von mehreren Tibeter, die wegen einer der größten Demonstrationen in tibetischen Siedlungsgebieten seit 1980 verurteilt wurden. Diese folgten auf die Verhaftung des hohen buddhistischen Lehrers Sonam Phuntsog, der immer noch im Gefängnis sitzen soll, seines Assistenten Sonam und eines weiteren Mönches, des ehemaligen politischen Gefangenen Agyal Tsering. Es heißt, daß sich mehrere hundert Menschen dem Protest angeschlossen hätten, und Soldaten Schüsse in die Luft abgegeben hätten, um die Demonstranten zu zerstreuen.

Die Entlegenheit der Stadt und die Härte, mit der bei der Niederschlagung vorgegangen wurde, bewirkten, daß man nur wenig über das weiß, was nach der Demonstration passierte. Gewiß ist jedoch, daß Dutzende von Leuten vorübergehend in Gewahrsam genommen wurden, daß mehrere Gefängnisurteile verhängt wurden und eine politisch sehr gespannte Lage herrschte. 8-10 der verurteilten Tibeter, darunter Wangdu und der 37-jährige Pema Phuntsok (beide 3 Jahre Haft), sollen in dem Gefängnis Maowun (chin. Maoxian) im südlichen Teil der Ngaba Tibetisch und Qiang Autonomen Präfektur in der Provinz Sichuan festgehalten werden. Anzunehmen ist, daß Tsering Wangdrag auch in Maowun inhaftiert war und ebendort starb.

Die Proteste vom Oktober 1999 in Kardze reflektieren, wie sehr die lokale Bevölkerung an ihrem Lama Sonam Phuntsok hängt, einem bekannten Gelehrten und Lehrer für tibetische Sprache in den Vierzigern, der anfänglich Mönch in dem Kloster Dargye in Kreis Kardze war. Sonam Phuntsog, der oft als "Geshe" oder "Gen" Sonam Phuntsog bezeichnet wird (obwohl nicht eindeutig ist, ob er die offiziellen monastischen Geshe Examina abgelegt hat), leitete Berichten zufolge früher öfters Gebetszeremonien für den Dalai Lama.

Ein TIN zugegangener inoffizieller Bericht läßt schließen, daß die Behörden Sonam Phuntsog wegen eines Bombenzwischenfalles vom 7. Oktober 1999 in einem Dorf in der Nähe der Stadt Kardze verdächtigen. Die Explosion zerstörte teilweise ein kleines Gebäude, das gerade von einem tibetischen Arzt, angeblich einem Anhänger des Shugden Schutzgeistes, zu einem Behandlungszentrum umfunktioniert wurde. Der Dalai Lama hatte ja 1996 den Tibetern davon abgeraten, diese kontroverse Schutzgottheit anzubeten. Was die Motive für die Bombendetonation sind, ist nicht bekannt, obwohl es zwischen den Anhängern Shugdens in derselben Gegend und einigen Tibetern, die der Anbetung des Geistes abhold sind, gewisse Spannungen gegeben haben soll. Es gibt jedoch keine Hinweise, daß Sonam Phuntsok irgend etwas mit dem Bombenattentat zu tun gehabt hätte - wahrscheinlicher ist, daß seine Verhaftung am 24. Oktober 1999 den Bedenken der Behörden wegen seines Einflusses in der Gegend und seiner offensichtlichen Loyalität für den Dalai Lama zuzuschreiben ist. Ein im Exil lebender Tibeter, der etwas von der Sache versteht, meinte: "Die chinesischen Behörden verdächtigen ganz allgemein jeden Tibeter, der irgendwie die Achtung und das Vertrauen des Publikums gewonnen hat, nationalistischer Gefühle und spalterischer Ideen und meinen, er könnte ein Sympathisant der 'konterrevolutionären Leute' sein, welche 'die Einheit des Mutterlandes sabotieren' und 'die Freundschaft unter den Nationalitäten stören'. Deshalb werden so bekannte und populäre Tibeter (wie Sonam Phuntsog) automatisch unter Verdacht gestellt. Die chinesische Regierung benützt verschiedene Vorwände und bauscht eine Anklage auf, um solche Leute in Gewahrsam zu nehmen".

Kurz nach der Festnahme von Sonam Phuntsog sammelte sich eine Menge Tibeter vor dem örtlichen Haftzentrum an, in das er gebracht wurde, und forderte seine Freilassung. Inoffizielle Berichte deuten an, daß Sonam Phuntsog als Ergebnis vorübergehend auf freien Fuß gesetzt wurde, aber bald wieder in Gewahrsam genommen und dann in das Haftzentrum des Public Security Bureau der Stadt Kardze, einem der berüchtigsten Einkerkerungsplätze der Region, verlegt wurde. Eine noch größere Menge von mehreren hundert Tibetern soll sich am 31. Oktober 1999 vor den Toren dieses Gebäudes angesammelt haben, um wegen seiner Festnahme aufzubegehren. Sie wurde von dem Sicherheitspersonal zerstreut, und es heißt, daß die Truppen Schüsse in die Luft abgaben und auch Tränengas eingesetzt wurde. Unbestätigte Berichte deuten an, daß Sonam Phuntsog verurteilt wurde und er gegenwärtig in oder in der Nähe der Präfektur-Hauptstadt Dartsedo (chin. Kangding) eingesperrt ist. Das in Dharamsala ansässige Tibetan Centre for Human Rights and Democracy meldete hingegen, Sonam Phuntsog, sowie seine Assistenten Sonam und Agyal Tsering seien aus der Haft entlassen worden.

Auf die große Demonstration hin wurde die Sicherheit in der Stadt Kardze verschärft, und die Polizei fuhr für einige Zeit danach noch fort, Leute willkürlich festzuhalten und zu vernehmen. Tsering Wangdrag soll wenige Tag nach dem Protest von den PSB Kräften in Gewahrsam genommen worden sein. Er wurde etwa zwei Monate in dem PSB Haftzentrum des Kreises Kardze festgehalten, ehe er ins Gefängnis verlegt wurde. Es heißt, seine Frau hätte 1000 Yuan ($120) zahlen müssen, um ihn zu Beginn seiner Inhaftierung für 10 Minuten besuchen zu dürfen. Anzunehmen ist, daß diese Summe gezahlt wurde, als er sich in dem PSB Kreishaftzentrum von Kardze befand, also vor seiner Verlegung ins Gefängnis.

Die Kreisstadt Kardze, die früher zu der traditionellen tibetischen Provinz Kham gehörte, stellt ein wichtiges religiöses und kommerzielles Zentrum dieser Region dar. Dieser Kreis ist für seine politische Impulsivität berühmt, so war er in den fünfziger Jahren eine der Hochburgen des Khampa Widerstandes gegen die chinesischen Truppen. Die Regierung unterhält nun ein starkes Sicherheitsaufgebot in und um die Hauptstadt von Kardze.^

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